„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Donnerstag, 2. Februar 2017

Schlag die Zeile



Nun also hat er es getan. Er hat einen Höchstrichter auf Lebenszeit installiert, dieser teuflische Toupetträger, dieser selbsternannte King of Queens. Zumindest, wenn man dieser Schlagzeile der Kleinen Zeitung glaubt:

„Trump setzt Erzkonservativen auf Lebenszeit ins Höchstgericht“

Ui, wie hat er denn das gemacht? Denn der amerikanische Präsident kann gar niemanden in das Höchstgericht setzen. Er darf nur jemanden vorschlagen. Und der wird dann vom Senat bestätigt und in den Supreme Court berufen oder auch nicht, je nachdem ob mindestens 60 von 100 Senatoren damit einverstanden sind. Und diese Ernennung erfolgt auf Lebenszeit, das stimmt. Aber das tut sie schon immer. Grundsätzlich. Höchstrichter in den USA sterben aus dem Amt. Deswegen sollten sie nicht allzu jung sein. Hat aber etwas mit Demokratie zu tun, die Amerikaner waren da nämlich sehr gewitzt: Sie lassen nicht nur Regierung und Parlament (Kongress) getrennt und zeitversetzt wählen, sondern installieren neben einer mächtigen Staatenvertretung (Senat) auch noch ein Höchstgericht, das faktisch unbeeinflussbar und nicht austauschbar ist, egal wie die Machtverteilung aussieht. Und keiner von denen kann irgendwas tun, ohne dass nicht mindestens einer der anderen das unterstützt. Auch der Präsident kann nichts allein tun, selbst seine Dekrete müssen im Gegensatz zu Merkels Entscheidungen zumindest im Nachhinein bestätigt werden und können jederzeit durch die demokratischen Institutionen wieder außer Kraft gesetzt werden.

Von sowas kann der Europäer nur träumen, der Parteien gewichten darf, die dann unter sich Macht und Pfründe aufteilen und wo immer die regieren, die sowieso die Mehrheit im Parlament besitzen (das zum Thema Kontrolle) und auch noch selbst die Höchstrichter einsetzen und nach Belieben umfärbeln. Die „Kleine Zeitung“ aus Österreich könnte sich ja mal mit der Demokratiefeindlichkeit des Klubzwangs im heimischen Parlament auseinandersetzen. Aber lieber nicht, denkt mal an die Presseförderung und die Inserate der ÖBB…

Aber zurück zu diesem Artikel, der ja bereits mit einer dicken, äh, nennen wir es mal kreativ formulierten Alternativwahrheit daherkommt.
Es kommt nämlich noch besser, und das bereits im nächsten Satz:

„Wenn der Senat den bisherigen Bundesrichter bestätigt, würde die konservative Mehrheit des Supreme Court wiederhergestellt.“

Abgesehen davon, dass ein Zustand wiederhergestellt würde, der sowieso lange Zeit normal war, ohne dass die Welt unterging, ist doch irgendwie seltsam, dass der zweite Satz direkt dem ersten widerspricht. Merkt das jeder? Kompletter Widerspruch: In der Schlagzeile setzt Trump den Richter auf Lebenszeit ein, in der nächsten Zeile schon muss er vom Senat bestätigt werden, und im Text heißt es dann sogar korrekt, dass Trump ihn vorgeschlagen hat:

„Dem Vorschlag des Präsidenten muss der Senat zustimmen.“

Der Unterschied zwischen Vorschlag und Einsetzung sollte auch in Redaktionsstuben bekannt sein.
Hier steht es jetzt nämlich, was auch im folgenden Text bestätigt wird, nämlich dass Trump niemanden einsetzen kann. In der recht sachlichen Beschreibung des Neuen wird ihm auch bescheinigt, ein recht anerkannter, über die Parteigrenzen hinweg geachteter und erfahrener Bundesrichter zu sein.

Kein einziges Wort erklärt, wie er für die Macher der „Kleinen Zeitung“ zu einem „Erzkonservativen“ wurde. Steht doch aber da. In der Überschrift.

Kleines Schmankerl zum Senat:
„Einige Demokraten haben bereits angekündigt, sie würden jeden von Trump nominierten Kandidaten ablehnen.“
Und die nennen sich „Demokraten“, reagieren aber einfach nur wie angepisste kleine Rotzgören. Jämmerlich. Zum Glück sind die irrelevant, denn genau 8 der 48 demokratischen Senatoren müssen zustimmen, die restlichen 40 können sich in ihrem Greinen suhlen solange sie wollen.
Mich widert dieses „Mimimi“ einfach nur an, egal von welcher Seite es kommt (wobei es da erkennbare Linkslastigkeit gibt). Wenn erwachsene hochbezahlte und verantwortungsgeladene Menschen sich wie trotzige kleine Kinder aufführen, Windelträger statt Würdenträger, das ist erbärmlich. Aber gut, jeder stellt sich bloß soweit er mag.

Zurück zu dem Artikel und warum ich ihn mir vorgeknöpft habe:

Wieder einmal eine Schlagzeile, die durch den folgenden Text als reine Erfindung enttarnt wird. Es werden Behauptungen aufgestellt, die entweder der Wahrheit offen widersprechen („setzt ein“), schon immer eine Normalität waren aber den Eindruck erwecken sollen, diesmal wäre etwas besonders („auf Lebenszeit“) oder einfach nur propagandistisch gut klingen, aber nirgends verifiziert werden („Erzkonservativer“).

Man vertraut darauf, dass die Mehrheit der Medienkonsumenten im politischen Teil des Blattes nur die Schlagzeilen liest und hält den Rest entweder für so dämlich, dass er nicht mitbekommt, wie er gerade gelinkt wird oder für so unbedeutend, dass es ihnen Wurscht ist. Und jedem, der ihnen dann vorwirft, sie würden falsch informieren, können sie süffisant erklären, er müsse ja nur bis zum Ende lesen, es stehe eh alles da.
Bekannte Masche. Wie die TV-Dokus über Migrantenkriminalität, Asylbetrug und No-Go-Areas, die gelegentlich um Mitternacht in Spartenkanälen laufen, damit niemand sagen kann, es wäre nicht darüber berichtet worden. Dass nur Nullkommajosef Zuschauer wochennachts über phoenix surfen sei ja schließlich deren Problem.

Und man kann es nur täglich wiederholen: diese Leute wollen uns erklären, dass nur sie die Bewahrer der neutralen, sauberen und qualitätsvollen Berichterstattung sind. Dass sie die vierte Säule der demokratischen Macht darstellen, alternativdemokratisch legitimiert durch ihren Qualitätsanspruch und damit eigentlich Inhaber umfassender Rechte zur leistungsunabhängigen Rundumversorgung.

1 Kommentar:

dna1 hat gesagt…

Werter Fragolin,

Eine reißerische Schlagzeile und im Text steht es dann richtig, also meint man, dem Redakteur keinen Vorwurf machen zu können, er hat ja eh alles richtig geschrieben, nur halt eine Schlagzeile formuliert, um beim Leser das Interesse zu erwecken (ich erinnere an berühmte BildSchlagzeilen).

Das Problem dabei: Irgendetwas bleibt immer hängen, damit wird hinterhältigst manipuliert, und damit ist die Zeitung als "unseriöses Drecksblatt" zu kategorisieren.