„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Freitag, 2. Juni 2017

Politisch korrekt

Die „NZZ“ hat eine neue Methode entwickelt, noch offener, freier und lesernäher zu diskutieren. Zumindest aus ihrer eigenen Sicht. Einige Leser sehen das eher anders, werden aber dafür auch gerne mal gemaßregelt.
So gibt es generell keine Kommentarspalten mehr unter den Artikeln, sondern einen eigenen, von den Artikeln abgekoppelten Kommentarbereich, wo unter permanenter Überwachung und Mitdiskussion der Moderatoren brav, sittsam und korrekt zu konkret vorgegebenen Artikeln der NZZ auch die Leser zu Wort kommen dürfen.
Ich möchte das hier nicht näher erläutern; dass ich diese Vorgehensweise vollkommen im Widerspruch zum Selbstbild der Redaktion nicht als Bereicherung empfinde, ist eben mein Problem, und es kann mir auch egal sein, wie sich eine Zeitung ihre Leserschaft vergrault.

Jedenfalls stellte sie zu einem lesenswerten Beitrag von Slavoj Zizek eine Debatte in den Raum: „Ist Political Correctness nur eine neue Form des Elitarismus?“

Und da gab es ein wunderschönes Beispiel zu lesen, das in geradezu leuchtenden Farben die Antwort auf die allem zugrunde liegende Frage gab: Wie funktioniert Political Correctness eigentlich?
Zwischen Kommentatoren, die sich „IceKing“, „HansM“ und „Norbert“ nennen, entspann eine kurze Diskussion, die ich hier wegen ihrer klaren Aussagekraft unbedingt kommentiert wiedergeben möchte.

IceKing“:
Political Correctness ist nur eines der Instrumente, den politischen Diskurs nicht mehr auf einer sachlichen sondern moralischen Ebene zu führen. Wer sich gegen die Interessen von Lobbyisten stellt, die vorgeben, Minderheiten zu vertreten, ist per se schlecht, denn er akzeptiert keine pluralistische Gesellschaft. So oder so ähnlich wird versucht, eigene Ziele einzubringen und sie gegen jedwede Kritik zu immunisieren.“

Nach meiner Erfahrung haargenau auf den Punkt gebracht: Unter dem Deckmantel der Political Correctness wird eine neue, auf Emotionen statt auf Fakten, also postfaktische, Diskussions-Unkultur etabliert, die jede Aussage mit einer Moralkeule verknüpft. Das alte Prinzip der DDR-Propaganda: Wir verteidigen den Frieden, also ist jeder, der gegen uns ist, automatisch ein Feind des Friedens, ein Kriegstreiber, ein Faschist. Heute muss man nur „Frieden“ durch „Menschlichkeit“ ersetzen, und bekommt das komplette Abziehbild der DDR-Propaganda vor den Latz gebügelt. Inklusive dem Hinweis, dass man mit Feinden des Friedens oder eben des Humanismus nicht diskutiert, sich diese selbst disqualifiziert haben und sie in Folge deshalb von allen kollektiv ausgegrenzt, ja mit allen Mittel bekämpft werden müssen, um den Frieden zu bewahren.
Doch weiter in dem vernünftigen Kommentar:

„Das es hingegen immer verschiedene politische Alternativen gibt für Probleme, ist hierbei völlig irrelevant. Die einzig richtige Möglichkeit ist diejenige auf der höher (gestellten) moralischen Ebene. Dabei wird aufmerksamkeitsheischend immer mit dem Einzelfall des armen, unschuldigen, Angehörigen einer Minderheit gemacht um so eine Mehrheitspolitik zu legitimieren, auch wenn diese am Ende für das Land schädlich ist. Political Correctness ist daher nicht unbedingt Elitarismus als viel mehr ein Stilmittel der politisch Linken, Klientelpolitik zu rechtfertigen.“

Ja. Hätte inhaltlich von mir sein können. War es aber nicht. Egal, passt.
Natürlich braucht es nicht lange, bis – wie immer, wenn eine Stimme der Vernunft ertönt und ihre kritische Sicht auf die Dinge formuliert – der lebende Beweis der Political Correctnes auftaucht, in diesem Beispiel ein Kommentator, der sich den Nick „HansM“ gegeben hat, und erst einmal beleidigt Beweise für die Aussage einfordert.

HansM“:
Sie können Ihre Anschuldigung sicher beweisen:
"Political Correctness ist daher nicht unbedingt Elitarismus als viel mehr ein Stilmittel der politisch Linken, Klientelpolitik zu rechtfertigen."
Bringen Sie bitte Beispiele, sie können hier die Beweise verlinken.
Wo wurde mit diesem Begriff der politischen Korrektheit irgendeine Diskussion abgewürgt?“

Das üblich Spiel. Ausgerechnet die Verteidigung der PC, die Fakten durch Gefühl ersetzt hat, lässt Empfinden nicht als Diskussionsgrundlage zu und fordert Beweise, und das in einem durchaus recht pampigen Tonfall. Naja, geschenkt. Dachte sich ein Kommentator mit dem Nickname „Norbert“ und lieferte seine Sicht der Dinge:

Norbert“:
Als Beispiel: die Diskussion über illegale Masseneinwanderung wird häufig mit politischen Korrektheit abgewürgt. Es wird z.b. schlecht toleriert, wenn ich den folgenden Satz in einer Gruppe ausspreche:
"Meiner Meinung nach sollten die Boote der Migranten aus Libyen sofort wieder an die Herkunftsstrände zurück gezwungen werden."
Sollte ich diesen Gedanke ausspreche, hört man Antworten wie:
- "Aber die Leute sind doch auf der Flucht von lebensgefährlichen Umständen! Haben Sie kein Mitleid?" "Ihre Meinung ist offenbar rassistisch motiviert zu sein."
Nun, meine echte Position könnte ganz anders lauten: dass es für das afrikanische Volk besser wäre, wenn ausgewählte Familien legal direkt aus Lagos nach Frankfurt geflogen werden; oder wenn Studenten aus Zaire legal Studienplätze an technischen Hochschulen bekommen könnten, damit sie später zum Aufbau ihres Landes helfen könnten.
Aber, dank der politischen Korrektheit, ist es fast unmöglich über das Thema ordentlich zu diskutieren, obwohl es vielleicht sehr klug wäre, Alternative zum chaotischen und gefährlichen Menschenschmuggel zu finden.“

Beliebiges Beispiel, treffende Darstellung. Ich erinnere mich immer wieder an diesen überheblichen Auftritt Kerns im ORF, wo Lugar die Notwendigkeit der Sicherung der EU-Außengrenze anspricht und Kern ihn mit dem Hinweis auf in Aleppo sterbende Kinder kaltschnäuzig auflaufen lässt. Lugar saß fassungslos da und wurde moralisch zum kaltblütigen Mörder armer fliehender Kinder gestempelt. Hatte zwar mit seiner Frage, in der es um die aus Libyen einströmenden afrikanischen Wirtschaftsmigranten ging, nicht das Leiseste zu tun, spielte aber keine Rolle: Moralkeule reicht. Postfaktisch. Jede weitere Diskussion vom Tisch gewischt, denn zur Rettung von Kindern vor Assads Fassbomben gibt es keine Alternative. Und wer gegen Flüchtlingsboote ist, ist gegen die Menschlichkeit.
Genosse, bist du gegen den Frieden?

Und jetzt schlägt die Stunde des Politisch Korrekten, der ein solches Musterbeispiel dessen, was er selbst als haltlosen Angriff diffamiert, abliefert, dass man ein richtig dickes, großes, leuchtfarbenes „QED!“ darunter stempeln möchte:

HansM:“
Für mich ist Ihr Beispiel zu den Migranten eben krass gegen unsere Rechtsordnung (internationales Rechts, Seerecht, Menschenrechte etc).“

Ist sie nicht. Menschen, die laut Seerecht aus Seenot gerettet werden (dagegen findet sich nichts in dem Beispiel) können, ja sollen durchaus in den nächstgelegenen Hafen gebracht werden, was im Falle der „Bootsflüchtlinge“ meist Tripolis wäre. Wohin die libysche Küstenwache diese Leute ja auch bringt. Nur die Schlepperboote von Soros‘ NGO‘s und der EU-Frontex karren die nach Italien, was mit gar keinem Recht geschieht. Und selbst wenn, begründet auch das noch kein Recht auf eine Aufenthaltsberechtigung in Italien. Das internationale Recht ebenso wie die allgemeinen Menschenrechte begründen kein Recht auf Wunschdestinationen.

Da wird alternativfaktisch durch das willkürliche Zitieren von Rechtsnormen, ohne jeden Bezug auf deren Inhalt, aber weil es sich gut anhört, die Aussage des Vorposters gleich mal als illegal gebrandmarkt. Was sie nicht ist. Denn das Retten aus Seenot und Zurückbringen der Geretteten an die afrikanische Küste widerspricht keinem gültigen Recht. Auch das Zurückdrängen fahrtüchtiger Boote ohne Seenot nicht. Wer keine Berechtigung zum Verlassen oder Befahren von Hoheitsgewässern hat, darf die eben entweder nicht verlassen oder nicht befahren. Das ist internationales Recht.

Internationales Recht, sogenanntes Völkerrecht, ist es auch, dass Staaten souverän darüber entscheiden, wie sie ihre Grenze schützen, wen sie über diese Grenze lassen und welche grundlegenden Anforderungen sie definieren, um einen Menschen ihr Staatsgebiet betreten zu lassen. Komischerweise wird dieses Argument damit abgewürgt, dass das Menschenrecht ja darüber stehe. Dass das nicht stimmt und es kein grundlegendes Menschenrecht auf Außerkraftsetzung des Völkerrechts zum eigenen Vorteil gibt, spielt dabei keine Rolle. Es geht nämlich nicht um den Inhalt der Rechtsnormen sondern einfach um deren moralische Dicke: Man schlägt das Buch nicht auf, sondern man schlägt es auf den Kopf des Anderen. Da zählt nur die eherne Stärke des Deckels und die Weite des Ausholens.

Gegenüber seinem Vorposter geht es jetzt nur noch um die Diffamierung als Rechtloser. Und wer nicht im Recht ist, der hat auch kein Recht. Komischerweise gilt das nach Ansicht des Verteidigers der PC bei seinem Vorposter durchaus, weshalb er nachschaufelt:

Das ist für mich ein Angriff gegen unsere Grundwerte, das hat nichts mehr mit Diskussion zum Problem zu tun.“

Aus der Ablehnung des Fährdienstes von Libyen nach Italien wird sofort ein Angriff gegen unsere Grundwerte (entspricht der in Deutschland gern vorgeschobenen „Verfassungsfeindlichkeit“ von Kritikern) und prompt folgt der verkappte Maulkorb: Indem man behauptet, „das hat nichts mehr mit Diskussion zum Problem zu tun“, beendet man die Diskussion.
Ja, genau das hat der Vorposter gemeint mit dem politisch korrekten Abwürgen der Diskussion. Selbst seine vorgebrachten Vorschläge werden nicht mehr beachtet, nur die einleitende Aussage mit der Moralkeule massiert und damit die gesamte Causa von jedem Argument entkoppelt zum „Bösen“ erklärt. Damit erübrigt sich jede weitere Diskussion.

Man könnte dies auch anders angehen: Wie werden in Libyen Bedingungen für die Rücknahme von Migranten geschaffen. Wie werden Bedingungen geschaffen für die Rückführung von Migranten aus Libyen (und auch Europa) in ihre Heimatländer. Aber bei Sprüchen wie an der libyschen Küste einfach abladen etc, oder auch einfach ertrinken lassen bis keine mehr kommen, ist eben eine Verletzung von Grundrechten.“

Man kann den Furor richtig mitleben. Unter Vortäuschung von Lösungsvorschlägen, die sich alle nicht mit dem Problem und seiner Vermeidung sondern ausschließlich mit dem Umgang mit den Folgen des Problems beschäftigen, also überhaupt keine Lösungsvorschläge sondern höchstens vollkommen unlogischen Stuss darstellen, wird eine Argumentation vorgetäuscht, die nicht vorhanden ist. Kein Argument zum Umgang mit dem Problem, kein Argument zur Vermeidung weiterer Völkerwanderungen (wie sie der Vorposter aus seiner Sicht angesprochen hat), nur weiteres moralisches Anschütten, das sogar in der Darstellung gipfelt, der Vorposter hätte das Bild vermittelt, er würde auf einer Stufe mit jenen stehen, die die Meinung vertreten, man solle die doch einfach ertrinken lassen. Hat er nicht, aber wen interessieren Fakten, wenn es um PC geht? QED.

An diesem Punkt rutschen wir vom postfaktischen Moralfuror übrigens haarscharf an die Grenze der Verhetzung. Hier beginnt der Verteidiger der Political Correctness, die ja ach so viel Wert auf die Wertschätzung und Positive Annahme jedes Menschen und die Vermeidung jeder Form der Herabsetzung und Beleidigung legt, nach der vollkommen willkürlichen und unbewiesenen Einstufung seines Vorposters als mutmaßlichen Rechtsbrecher, ihn auch noch als potenziellen Mittäter zu verhetzen, wenn es um das jämmerliche Ersäufen armer Flüchtlinge geht.

Das konnte man jetzt eigentlich kaum noch besser darstellen, wie es funktioniert. Da hilft es auch nicht mehr, dass er in seinem Furor, einmal losgelassener Gutmensch eben, noch ein bisschen postfaktisch nachtritt:

„In dem Sinne ist das klar eine Einforderung von politischer Korrektheit. Aber in dem Sinne, dass keine Aufrufe zur Rechtsverletzung toleriert werden. Vor allem nicht wenn es sich um Grundlegende Rechtsprinzipien unseres Rechtsstaates handelt.“

Es wurde zu keiner Rechtsverletzung aufgerufen und die Seenotrettung vor Libyen ebenso wie das Schlepperunwesen nach Italien betreffen auch keinerlei grundlegende Rechtsprinzipien der Schweiz. Und ob der das jetzt toleriert oder nicht ist auch irrelevant, da er nicht die ganze Menschheit vertritt, weder der Welt noch der Schweiz, auch wenn er das allem Anschein nach durchaus in Erwägung zieht.
Geschenkt.
Aber wer denkt, damit ist es vorbei, der irrt.
Denn ein Argument hat der Gute noch, mit dem er dem Kritiker an der PC noch so richtig eine reinwürgen kann; ein Nachschuss wie aus dem Bilderbuch:

Für mich ist das auf gleicher Stufe anzusiedeln, wie wenn einige zur Pädophilie aufrufen würden. Würden das diejenigen tolerieren, die dauernd die politisch unkorrekte Rede fordern?“

Er stellt den Vorposter sogar mit Befürwortern der Pädophilie auf eine Stufe. Pure Hetze.
Und doch konnte ich mir, als ich das am Ende dieses Musterbeispiels der politisch korrekten Bigotterie lesen musste, das Lachen nicht verkneifen.
Sind es doch genau die politisch Korrekten, die aus Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle von in frühmittelalterlichem Religionsverständnis Gefangenen die Legalisierung der Kinderehe fordern.
Das setzt dem Ganzen doch das Krönchen auf.

1 Kommentar:

Frolleinwunder hat gesagt…

Sehr schön!